1. Warum ist die Nachhaltigkeit im Beschaffungsprozess zu berücksichtigen?
Gemäß dem geltenden Vergabe- und Haushaltsrecht (§ 97 Absatz 3 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beziehungsweise § 2 Absatz 3 Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)) gilt, dass Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte bei der Vergabe berücksichtigt werden.
Konkrete einzuhaltende nachhaltige Verpflichtungen, Ziele und Maßnahmen zur öffentlichen Beschaffung finden sich zum Beispiel in der Maßnahme IV "Beschaffung" des Maßnahmenprogramms Nachhaltigkeit – Weiterentwicklung 2021 "Nachhaltigkeit konkret im Verwaltungshandeln umsetzen", dem Klimaschutzgesetz (KSG), der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) und im Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG).
2. Wie können Nachhaltigkeitsaspekte im Beschaffungsprozess berücksichtigt werden?
Mögliche Nachhaltigkeitsaspekte sollen vor der Einleitung eines Beschaffungsprozesses bei der Bedarfsanalyse, Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und Markterkundung identifiziert werden. Zweckmäßige Aspekte wären im Vergabeprozess als Eignungsanforderungen (§ 49 Absatz 2 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV)), in der Leistungsbeschreibung (§ 31 Absatz 3 VgV) beziehungsweise als Ausführungsbedingungen (§ 128 Absatz 2 Satz 3 GWB) und/ oder als Zuschlagskriterien (§ 127 Absatz 1 Satz 3 GWB, § 58 Absatz 2 VgV, § 59 VgV) vorzugegeben.
3. Was sind umweltbezogene Nachhaltigkeitsaspekte?
Umweltbezogene Aspekte beziehen sich direkt auf das zu beschaffende Produkt, dessen Produktion, Lieferung, Nutzung und auch Entsorgung (beziehungsweise Recycling(-fähigkeit). Sie haben das Ziel, dass die gewählte Lösung in der Gesamtschau möglichst umweltfreundlich und möglichst geringe, negative Umweltauswirkungen mit sich bringt. Konkrete umweltbezogene Nachhaltigkeitsaspekte sind zum Beispiel:
- Reparaturfähigkeit,
- geringer Ressourceneinsatz,
- Verwendung gesundheitsunbedenklicher Materialien bzw. Verbot gesundheitsschädlicher Stoffe,
- weniger und/oder recycelte Verpackung,
- Energieeffizienz und führen zu reduzierten Treibhausgas- und Schadstoffemissionen, verringerten Ressourceneinsatz und/oder
- verringertes Abfallaufkommen.
4. Was sind soziale Nachhaltigkeitsaspekte?
Im Gegensatz zu umweltbezogenen (produktbezogenen) Kriterien sind soziale Aspekte normalerweise nicht direkt am Produkt erkennbar. In den meisten Fällen beziehen sich soziale Aspekte auf den Herstellungsprozess (Arbeitsbedingungen) oder die Auslieferung eines Produktes beziehungsweise die direkte Leistungserbringung (bei Dienstleistungen). Es geht also üblicherweise um die Bedingungen, unter denen die Leistung erstellt beziehungsweise erbracht wird. Beispiele für soziale Nachhaltigkeitsaspekte sind
- die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationale Arbeitsorganisation (ILO),
- die Sorgfaltspflichten im Produktionsprozess,
- Barrierefreiheit,
- Regelungen zur Arbeitssicherheit,
- Regelungen zum Gesundheitsschutz oder
- dass Produkte entsprechend der Anforderungen des fairen Handels angebaut wurden.
5. Was sind innovative Nachhaltigkeitsaspekte?
Zumeist handelt es sich bei Innovationen um den erstmaligen Einsatz von in anderen Branchen oder Einsatzfeldern bereits bewährten Produkten und Techniken (marktgängige Innovationen). Die Innovation kann auch mit dem Einsatz einer neuartigen Technologie oder eines neuartigen Geschäftsmodelles verbunden sein, die es auf dem Markt noch nicht gibt (nicht marktgängige Innovation). Innovative Produkte und Dienstleistungen können konkrete Verbesserungen bei den Verwaltungsabläufen, der Erhöhung der Dienstleistungsqualität oder der Nutzerfreundlichkeit mit sich bringen.
6. Wie können Nachhaltigkeitsaspekte bei der Bedarfsanalyse und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung berücksichtigt werden?
Sollte eine Beschaffung erforderlich sein, sind folgende nachhaltige Alternativen zur Bedarfsdeckung zu prüfen und die wirtschaftlichste Handlungsalternative zu bestimmen (vgl. § 13 Absatz 2 Klimaschutzgesetz (KSG) und § 2 Absatz 2 AVV Klima):
- Möglichkeit der Bedarfsdeckung über eine Rahmenvereinbarung im KdB mit Abrufberechtigung, die Nachhaltigkeitsaspekte (diese sind entsprechend gekennzeichnet) umfassend berücksichtigt,
- Erwerb eines gebrauchten Produktes anstatt Kauf eines neuen Produktes,
- Erwerb eines Ausstellungs- oder Vorführgerätes anstatt eines Neugerätes,
- Miete oder Leasing anstatt Kauf, wenn nur ein kurzzeitiger Bedarf besteht,
- nachhaltige Alternativprodukte anstatt "konventioneller" (zum Beispiel aus recycelten oder nachwachsenden Rohstoffen, umweltfreundlich hergestellt, aus nicht gesundheitsschädlichen oder langlebigen und wiederverwertbaren Rohstoffen),
- ein Multifunktionsprodukt, das mehrere Bedarfe abgedeckt.
Zudem sind folgende Fragen zu stellen:
- Sind alle Ausstattungselemente beziehungsweise Funktionen notwendig oder kann auf einzelne verzichtet werden?
- Gibt es soziale und ökologische Herausforderungen?
- Wie hoch sind die Klimaauswirkungen, der Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen des Leistungsgegenstandes während des Lebenszyklus?
- Gibt es eine klimafreundliche, energieeffiziente Systemlösung?
Es gilt: Auftraggeber dürfen – unter Beachtung des Vergabegrundsatzes der Nichtdiskriminierung – selber entscheiden, welchen Leistungsgegenstand sie beschaffen möchten, um den Bedarf zu decken (Leistungsbestimmungsrecht).
7. Wie können Nachhaltigkeitsaspekte bei der Markterkundung berücksichtigt werden?
Bei der Markterkundung, bei der man sich im Vorfeld einer Beschaffung eine Übersicht über Erzeugnisse, Bezugsquellen, Verfahren, mögliche Gütezeichen und Nachweisformen oder auch über die potentiellen Bieter, die für die Leistungserbringung geeignet sind, verschafft, sind insbesondere nachhaltige Alternativen zu recherchieren, zum Beispiel über:
8. Wie können Nachhaltigkeitsaspekte in der Leistungsbeschreibung beziehungsweise den Ausführungsbedingungen berücksichtigt werden?
Die Leistungsbeschreibung kann so viele Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte enthalten, wie vom Auftraggeber gewünscht. Diese können sich gemäß § 31 Absatz 3 VgV bzw. § 23 Absatz 2 UVgO auch "auf den Prozess oder die Methode zur Herstellung oder Erbringung der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus des Auftragsgegenstands einschließlich der Produktions- und Lieferkette beziehen, auch wenn derartige Faktoren keine materiellen Bestandteile der Leistung sind".
Mögliche Aspekte, welche gegebenenfalls jeweils einzelfallbezogen ausgeführt/ konkretisiert werden müssen, sind zum Beispiel:
- Anforderungen an das Design: zum Beispiel reparaturfreundlich, mit handelsüblichem Werkzeug zu öffnen, zur Nachrüstung geeignet, modular, wiederverwendbar
- Vorgabe eines bestimmten Materials: zum Beispiel (mindestens x %) Recyclingmaterial/nachwachsende Rohstoffe, zertifiziertes Holz, aus biologischem Anbau
- Anforderungen an das Herstellungs-/ Produktionsverfahren: zum Beispiel energieeffiziente, rohstoffschonende Produktionsmethoden
- Ge-/Verbote bestimmter Varianten, Inhaltsstoffe, Materialien: zum Beispiel kein Einweggeschirr, keine Konfliktrohstoffe, Rohstoffe nicht fossilen Ursprungs, Recyclingmaterialien
- Bedingungen an die Ausführung des Auftrages: zum Beispiel gebündelte, CO2-neutrale Anlieferung, recycelte Verpackung, geringe Dosierung der Reinigungsmittel, Rücknahme von Abfall
- Rücknahme und fachgerechte Entsorgung von Verpackungen beispielsweise von Geräten nach Beendigung der Nutzungszeit
- digitale Kommunikation und Abstimmungen
- soziale Aspekte, die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen der in die Auftragserfüllung eingebundenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betreffen, wie zum Beispiel Einhaltung der Mindestlohnbestimmungen, Durchführung von Sicherheitsunterweisungen oder regelmäßige Mitarbeiterschulungen
9. Wie können Nachhaltigkeitsaspekte im Rahmen der Eignung berücksichtigt werden?
Hier sind die Angaben von Umweltmanagementmaßnahmen, die das Unternehmen während der Auftragsausführung anwendet, oder die Forderung von bestimmten Systemen oder Normen der Qualitätssicherung und des Umweltmanagements (zum Beispiel EMAS, ISO 14001 oder vergleichbar) zum Beleg der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit gemäß § 46 Absatz 3 Nr. 7 und § 49 VgV zulässig. Daneben können nachhaltigkeitsrelevante Aspekte, wie zum Beispiel:
- Referenzen über erbrachte Leistungen mit Umweltbezug (vgl. § 46 Absatz 1 Nr. 1 VgV),
- technische Ausrüstung, wie zum Beispiel emissionsarme Geräte, die bei der Leistungserbringung zum Einsatz kommen (vgl. § 46 Absatz 1 Nr. 3 VgV) oder
- spezielle Überwachungssysteme für Lieferketten (vgl. § 46 Absatz 1 Nr. 4 VgV)
im Rahmen der Eignung gefordert und überprüft werden.
Es gilt jedoch immer, dass die Eignungskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen müssen und im Hinblick auf Umfang und Art des Auftrags angemessen sind (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Zudem muss ein hinreichender Verbreitungsgrad der Zertifizierung bei dem zu erwartenden Bieter- beziehungsweise Bewerberkreis erwartet werden, damit die Festlegung den Wettbewerb nicht unverhältnismäßig einschränkt.
10. Wie können Nachhaltigkeitsaspekte als Zuschlagskriterien berücksichtigt werden?
Der Zuschlag ist auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Maßgebend sind dabei neben dem Preis Zuschlagskriterien, die sich auch auf umwelt-, klimaschutz- und energieeffizienzrelevante, qualitative oder soziale Aspekte beziehen können.
Voraussetzung ist, dass die Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen (siehe hierzu auch § 127 Abs. 3 GWB/ § 43 UVgO) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten wird sowie (gegebenenfalls inklusive Unterkriterien) mit der vorgesehenen Gewichtung in den Vergabeunterlagen bekannt gemacht werden.
Demnach ist es möglich, den Energieverbrauch, Treibhausgas- und/ oder Geräuschemissionen, den Recyclinganteil, die Verwendung eines nachhaltigen Verpackungsmaterials, die Reparaturmöglichkeit des zu beschaffenden Produkts, soziale Anforderungen an den Leistungsgegenstand wie die Barrierefreiheit, Maßnahmen des Umweltmanagements oder ein zu beschaffendes Produkt, das etwa aus fairem Handel oder ökologischer Landwirtschaft stammt, im Rahmen der Angebotswertung zu berücksichtigen.
Zudem sind zur Berechnung der Kosten gemäß § 4 Absatz 4 der AVV Klima neben den Anschaffungskosten die voraussichtlichen Kosten, die mit der zu beschaffenden Leistung während ihres Lebenszyklus in Verbindung stehen (Lebenszykluskosten - LZK) zu berücksichtigen. Hierzu zählen die geschätzten Gesamtkosten für Konstruktion, Entwicklung, Produktion, Betrieb, Wartung, Instandhaltung und Entsorgung. § 59 VgV regelt Inhalt und Anforderungen der Methode zur Berechnung von LZK.
Ausnahmen hiervon sind nur möglich, wenn einer der in § 4 Absatz 4 Satz 5 AVV Klima genannten Fälle zutrifft.
11. Wie können Nachhaltigkeitsaspekte belegt/nachgewiesen werden?
Als Nachweis/Beleg für die Erfüllung von in den Vergabeunterlagen verpflichtend oder freiwillig geforderten Nachhaltigkeitsaspekten stehen unter anderem folgende Möglichkeiten zur Verfügung:
- Gütezeichen – hierzu zählen Umwelt- und Sozialzeichen, Siegel, Zertifikate
- Zertifizierungen
- Eigenerklärungen
- Prüfberichte von Dritten
- Kopien relevanter Dokumente
- Nachweise von Kontrollbesuchen
- die Offenlegung der Lieferketten
- Berichte von Audits
- Mitarbeiterschulungen
Weitere Informationen dazu sind Kapitel 3 des Anhang A des "Leitfaden zur nachhaltigen Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen im Geschäftsbereich (GB) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)" zu entnehmen.
12. Wo finde ich weitere Informationsangebote, Schulungs- und Beratungsmöglichkeiten?
Weitere Informationen zur nachhaltigen Beschaffung, Musterformulierungen und weiterführende Informationsangebote sind dem "Leitfaden zur nachhaltigen Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen im Geschäftsbereich (GB) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)" zu entnehmen und im Servicebereich der ZV-BMEL (www.ble.de/bt) unter "Nachhaltigkeit" abrufbar. Zudem bieten folgende Internetauftritte vielfältige Informationen zur nachhaltigen Beschaffung und praxiserprobte Mustervorlagen:
13. Wer kann bei Fragen zur Nachhaltigkeit weiterhelfen und kontaktiert werden?
Die KNB-BMEL (nachhaltigebeschaffung@ble.de.de; Telefon: 0228-6845-3990) steht den Bedarfsträgern jederzeit beratend und unterstützend zur Seite.